Fwd: Re: [quisse] open sounds

From: Sebastian C. B. Sauer (scb@enemy.org)
Date: Sam Dez 15 2001 - 12:43:05 CET


FYI. de:bug

---------- Forwarded Message ----------

Subject: Re: [quisse] open sounds
Date: Thu, 13 Dec 2001 22:22:12 +0100
From: waldt <waldt@quintessenz.at>
To: scb@enemy.org

anregung aus der de.bug [allerdings schon zwei jahre alt].
GrussWaldt

Loops und Linux
Open Source vs. Techno

Mit Open Source macht unter dem Namen Linux ein Code-Erstellungsprinzip
internationale Börsen-Karriere, das bisher eher in kulturell definierten
sozialen Systemen praktiziert wurde - besonders in den letzten 35 Jahren
in dem Bereich, der als Jugenkultur geführt wird. Sowohl Open Source
Software als auch Mod, Punk, HipHop, Techno, Skater definieren sich über
Haltungen (Attitudes) und Produkte. Nur aus der richtigen Haltung werden
jeweils die richtigen Produkte generiert und je nach dem auf welchem Feld
sich die Haltung bewegt, enstehen Software-, Sound- oder Style-Strukturen.

Attitude und Selbstorganisation
"Open Source bedeutet nicht einfach nur Zugriff auf den Quellcode." Die
deutlichste Parallele von Nerds und Szenen besteht in ihrer sozialen
Selbstorganisation. Dabei sein kann prinzipiell jeder und jede, der Status
in der Gruppe wird durch die Leistungen und gebotene Konstanz definiert.
Die Ränder der Gruppen werden von Sympatisanten und Neulingen gebildet, die
- vorausgesetzt sie zeigen die richtige Haltung - durch eigene Leistungen
den gemeinsamen Code fortschreiben können. Je länger ein Individuum DABEI
ist, desto weiter steigt es unwillkürlich in der Hierachie nach oben.
Dieser Prozess kann durch besondere Leistungen - also ein elegantes Patch
oder ein richtungsweisender Basslauf oder ein neuer Modestyle -
beschleunigt werden, aber sicher oder sogar einklagbar wird kein noch so
hoher Status jemals sein, da Selbstlosigkeit im Dienst des Quellcodes ein
Grundaxiom ist. Längere Zeiten der Passivität mindern das Standing
unweigerlich. "Ein Programmierer soll den Quellcode verändern können." Ein
höherer Status bringt zunächst auch nur EIN Privileg: mehr Definitionsmacht
über den gemeinsamen Code. Erst als Nebenwirkung und nur in bestimmten
Relationen wird von den Gruppen eine - indirekte - Bezahlung des Status
geduldet, die in der Regel in den coolen Jobs besteht: im richtigen
Plattenladen, beim richtigen ISP oder hinter der richtigen Bar.

Offene Quellen machen RUMMS.RUMMS.RUMMS.
Während diese Parallelen für so ziemlich alle erinnerten Jugendkulturen
gelten, hatten Punk und noch mehr Techno darüber hinaus reichende, da sie
auch die Produktionweisen des bestimmenden Sounds offengelegt haben. Nicht
mehr handwerkliche Fähigkeiten, sondern die clevere Umsetzung bekannter
Produktionsstrukturen mit bekannten Geräten und Tools wurden zum
entscheidenen Faktor. "Die zum Programm gehörigen Rechte müssen für jeden
gelten, der das Programm erhalten hat, ohne daß eine weitere Lizenz
beachtet werden muß." Der Quellcode des Betriebssystems waren 909, 303 und
ein Mackie-Mischpult. Frei einsatzbare Software-Routinen bedeutet im Techno
das Recht zu samplen, in beiden Fällen ist die Verwendung cool, wenn sie
zur sinnvollen Erweiterung des Code-Pools beiträgt und uncool, wenn sie
eine blossen Kopie ist. Sowohl Techno als auch Open Source beschäftigten
sich zudem mit dem Gefühl für Maschinen. In dem Bewustsein, dass deren
Funktionsweise ein Ausdruck unseres eigenen Denkens darstellt, werden sie
nicht als unmenschlich empfunden, sondern als Chance einen Blick in den
Spiegel zu erhaschen und die eigenen Neuronen abgebildet zu finden.
"Absichtlich verwirrend geschriebener Quellcode ist nicht erlaubt." Ist es
für eine Linux-Anwendung wichtig, dass ihr Code elegant formuliert ist, so
hat Techno ermöglicht die Funktionsweisen der Maschinen zu hören und auf
der der Tanzfläche zu spüren. Ein wichtiges Indiz für Parallelität dieser
Vorgänge ist ihr repetiver Charakter, Software und Sound funktionieren
jeweils nur in Loops.

Die Reinheit der Quelle
"Die Lizenz muß die Veränderung des Programms, auf dem Programm basierende
Werke, sowie deren Verbreitung unter den gleichen Lizenzbedingungen
gestatten." Nerds und Headz mögen eben Systeme in denen SIE auf alle
Parameter zurückgreifen können. Die kommerzielle Verwertung des Quellcodes
ist hier wie dort das wichtigste Axiom, wobei die geschilderten sozialen
Selbstorganisiationen durch ihre eigene Effizienz offenbar Zyklen von
Abschottung, Popularisierung und Vereinnahmung durch die
Gesamt-Gesellschaft durchlaufen, in denen sich sowohl die Akteure und deren
Rollen als auch die Produkte verändern. Der aktuelle Status von Linux
dürfte dabei etwa dem von Techno Mitte der 90er entsprechen. Die
kommerzielle Verwertung geschieht durch Dienstleistungen und Vermittlung,
dabei haben Distributionen etwa den Stellenwert von Labels, die Anpassung
an Kundensysteme den des DJs. Darüber hinaus weckt die Effizienz und
Coolheit mit der offene Codes kulturellen Fortschrit produzieren - also
Codes fortschreiben und verfeinern - unweigerlich weitergehende
Begehrlichkeiten, die dazu führen, dass auch der Quellcode an sich
vermarktet wird. Dies scheint immer dann zu geschehen, wenn er eine gewisse
Reife und einen gewisse Vollständigkeit erreicht hat. Die anschliessende
Kommerzialisierung, die auch auf den Status des Quellcodes selbst
Auswirkungen hat, wird von genauso wütenden wie hilflosen Protest der
Veteranen begleitet. Der Quellcode bleibt zwar vordergründig der selbe,
aber er fühlt sich anders an, wenn er am Nasdaq gehandelt wird oder in der
Fernsehwerbung verwendet wird.

Neuer Martk macht Boing
Wenn sich Analogie fortsetzt, dürfte Linux einen dauerhaften, wenn auch
nicht dominierende Status erhalten, gleichzeitig dürften die Nerds mehr und
mehr das Gefühl verlieren, dass der Code ihnen gehört. Vor allem letzteres
kann wiederum fatale Folgen für den Code selbst haben, da er zunehmend in
Hände von Profis gerät, die den Grundsatz der selbstlosen Einsatzes für den
gemeinsamen Code als absurde Zumutung empfinden. Veteranen müssen sich zwar
zunächst nicht wirklich entscheiden, ob sie sich abgelegeneren Codes
zuwenden oder mitverdienen, aber mit dem wohlverdienten Abkassieren geht
auch ein Code-Verlust des Selbstverständnisses einher. Der Musikmarkt ist
natürlich im Vergleich zum Softwaremarkt kein ernstzunehmendes BUSINESS,
dies sollte einerseits die Nerd-Erosion beschleunigen, andererseits dürften
sich die Regeln der Vereinnahmung unter dem Druck der Börsen-Milliarden
modifizieren.

Da es sich bei der Erstellung von Software vordergründig um ein ernstes
Business dreht wurde für diesen Bereich natürlich genau definiert was unter
offener Quellenlage zu verstehen ist: Alle als "Zitat" gekennzeichneten
Sätze sind aus der "Open Source Definition" entnommen.

-------------------------------------------------------

-- 
:: scb's terra_digitalis  http://swoosh.enemy.org/
:: fingerprint B8A5 31FE 0159 BF8A 1F17  8B81 848F F350 D1CB 5706

[ Um sich von dieser Liste abzumelden, sende bitte "unsubscribe" ] [ an <linuxevent-request@mlist.austria.eu.net>. ]



Dieses Archiv wurde generiert von hypermail 2.1.3 : Fre Jan 18 2002 - 23:18:07 CET