Aus der FTD vom 12.10.2001 http://www.ftd.de/ebook/#FTD8D2ICOSC
Microsoft und Linux ringen um Sitz im Bundestag
Hinter den Kulissen des Bundestages ist eine Lobbyschlacht zwischen den vom
Informationstechnologie-Riesen IBM gestützten Verfechtern freier Software
und dem Marktführer Microsoft ausgebrochen.
Es geht um die zukünftige Ausrüstung der PC der Bundestagsabgeordneten,
ihrer Mitarbeiter und der Bundestagsverwaltung. Bislang laufen die rund
5000 Rechner mit dem fünf Jahre alten Windows NT 4, das von Microsoft
allmählich aus dem Programm genommen wird. Der zuständige Ältestenrat im
Bundestag denkt seit über einem halben Jahr über eine Umstellung nach - die
Anzeichen sprechen nun dafür, dass Microsoft in der prestigeträchtigen
Auseinandersetzung den Kürzeren ziehen könnte. Im Konkurrenzkampf setzt IBM
auf seine eigene Servicemannschaft und frei verfügbare Software wie Linux.
Bei einer ersten Präsentation Anfang April hatte sich IBM mit der
Nürnberger Linux-Firma Suse zusammengetan, um die Vorzüge der frei
verfügbaren Open-Source-Software vor Augen zu führen, die durch Kooperation
zahlreicher Programmierer weltweit ständig verbessert wird. Ein paar
Hundert dieser Programmierer stehen auch auf der Gehaltsliste von IBM. Der
IT-Gigant hat die kostenlose Software zu einem Eckpfeiler seiner
Unternehmensstrategie gemacht - der fehlende Umsatz aus dem Verkauf von
Programmen soll durch Aufträge im Wartungsbereich ausgeglichen werden.
Hemmschwellen abbauen
"Es ging bei der Präsentation vor allem darum, Hemmschwellen abzubauen",
erinnert sich Markus Tesmer, der für Suse die Kunden Regierung und
Institutionen betreut. Die Geschäfts- und Lobbying-Praktiken von Microsoft
lösen im Bundestag dagegen Widerstand aus. Besorgt erkundigte sich der
Ältestenrat im Frühjahr nach dem Zwang zur Registrierung, mit dem Microsoft
die neuen Softwareversionen ausgestattet hat. Die Aktivierung erfolge
anonym, beeilten sich Firmenvertreter zu erklären, der Bundestag zähle
zudem zu den Großkunden, bei denen die Programme fertig aktiviert
ausgeliefert werden. Beim Essen mit Fraktionssprechern und einem bunten
Abend für Abgeordnete suchte Microsoft die Zweifel weiter zu zerstreuen.
Eklat in Microsoft-Zentrale
Zu einem Eklat kam es bei einer Reise des SPD-Abgeordneten Hubertus Heil,
der im Sommer die Microsoft-Zentrale in den USA besucht hatte. Die
Konzernspitze stellte dem Mitglied des Ältestenrats zwei Gesandte an die
Seite. Ähnlich wie jüngst der Deutschland-Chef von Microsoft, Kurt Sibold,
äußerten sie sich befremdet darüber, dass sich deutsche Politiker und die
Regierung offen für Linux einsetzen und somit "in wirtschaftliche
Angelegenheiten eingreifen". Heil, den die Geschichte bis heute ärgert,
verbat sich die Einflüsterungen. Entnervt funkten die Lobbyisten an die
Konzernzentrale, der Bundestag sei verloren. Doch die öffentliche Hand, die
Sibold wiederholt als wichtigen Großkunden bezeichnete, lässt sich
Microsoft nicht kampflos entgehen. "Informationen über die konkrete
Lobbyarbeit" will Andrea Huber, für Regulierungsfragen des Konzerns in
Berlin zuständig, "nicht nach außen tragen". Auch die PR-Agentur Hunzinger,
die vor einigen Wochen einen Millionen-Etat für die strategische
Lobbyarbeit für Microsoft in Berlin gewonnen hat, wollte sich zur konkreten
Arbeit nicht äußern.
Mit günstigen Preisen locken
Beobachter gehen auch davon aus, dass der für flexible Großkundenrabatte
bekannte Konzern Zugeständnisse beim Preis machen wird - wie jüngst beim
Vertrag mit dem Bundesinnenministerium. Dass sich diese Entscheidung auf
den Bundestag auswirkt, ist allerdings unwahrscheinlich. Fast alle
Fraktionen haben ihre Vorliebe für die freie Software bekundet. Erst jüngst
machten sich die rot-grünen Abgeordneten in einem Antrag für
Open-Source-Software stark. Dass sich "80 Prozent der Viren über Software
von Microsoft verbreiten", sei Besorgnis erregend, begründet die
SPD-Abgeordnete Monika Griefahn ihre Haltung. Fraktionskollege Jörg Tauss
spricht gar davon, den Bundestag zur "Microsoft-freien Zone" zu erklären.
Ein Pilotprojekt mit entsprechenden Rechnern hat seine Fraktion bereits
gestartet. Rückendeckung erhalten die Abgeordneten von der Koordinierungs-
und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik:
Kostenersparnisse für den Staatshaushalt - beim Bund etwa 125 Mio. Euro -
sowie eine höhere Sicherheit sprächen für die vermehrte Verwendung von
freier Software auf den PCs im Bundestag.
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