"Der Weihnachtsmann im Netz"
Wenn man in den ersten Dezembertagen einen ausgedehnteren
Waldspaziergang unternahm und sich dabei nicht ganz an die
ausgetretenen Wanderpfade hielt, konnte es passieren
(sofern man wirklich weit genug von der Stelle entfernt war,
wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen), daß man
zwischen tief verschneiten Bäumen auf ein kleines gemütliches
Häuschen stieß, aus dessen Schornstein kleine Wölkchen
aufstiegen und das von einem schummrigen Leuchten erhellt war.
Wer sich etwas näher heranwagte, konnte an der Haustür
ein verwittertes Schild entdecken, auf welchem nachdem
man die herunterhängenden Eiszapfen entfernt hatte -- zu lesen war.
Weihnachtsmann
Bitte nicht stören!
Die ganz Neugierigen, von denen es aber nicht jeder bis hierher
schaffte, wagten dann sogar einen Blick durchs Fenster.
Bisher hatte jedoch niemand viel zu sehen bekommen,
denn die Scheiben waren von prachtvollen Eisblumen übersät,
die den Blick ins Zimmer versperrten.
Doch auch wer sich neben dem Haus versteckte und abwarten wollte,
wann der Alte aus der Tür kam, um ihm zu folgen,
konnte sich seines Mißerfolges sicher sein.
Die es versucht hatten, berichteten Ungewöhnliches.
Zuerst begann ein leises Läuten und dann erfüllte ein Raunen die Luft,
das wie ein Gedicht klang, dessen Verse wohl vertraut waren:
Wir sind die allerschönsten Tannen
und sind mit Licht und Silber geschmückt.
Man hat uns mit Engelshaar behangen
und uns in ein Märchen verrückt.
Damit endete zumeist ihre Erinnerung und sie fanden sich,
eingehüllt in eine warme Decke, so weich wie sie noch keine gesehen
hatten, vor ihrer Haustür wieder.
Den Weg zu diesem Haus haben sie danach wohl nie wieder gefunden.
So blieb die Idylle dieses stillen Plätzchens in der Tiefe des Waldes
erhalten. Der Schlitten neben dem Haus harrte geduldig seiner Benutzung,
ein paar Hirsche, deren Zaumzeug fein säuberlich an der Außenwand hing,
zupften ab und an etwas Heu aus der Futterkrippe und nur die Krähen
in der Luft bekamen mit, wann im Haus der Ofen an-- und ausging.
Hätte jedoch in diesem Jahr jemand den Weg gefunden und hätte er es
geschafft, einen Blick durchs Fenster zu werfen -- die Verwunderung
wäre sicherlich groß gewesen.
Da saß der Weihnachtsmann mit zerzaustem Haar, neben sich ein
Aschenbecher, in dem sich Berge von Tabakresten aus seiner Pfeife
türmten, auf dem Fußboden verteilt einzelne Blätter und auch ganze
Rollen Papier. Kurz, im Zimmer herrschte ein einziges Chaos.
Nichts von der Beschaulichkeit und geheimnisvollen Kramerei
vergangener Jahre.
"Die Menschen müssen verrückt sein", murmelte er immer wieder
vor sich hin. " Multimedia! Ha, daß ich nicht lache!"
Das alles klang irgendwie sehr verbittert.
Wenn man sich weiter umschaute im Zimmer,
konnte man die Ursache allen Übels entdecken.
In der hintersten Ecke stand, im schummrigen Licht kaum
erkennbar, ein Computer. Er war zwar angeschaltet, mußte aber wohl eine
Weile nicht angerührt worden sein, über den Monitor flimmerten die
Schriftzüge des Bildschirmschoners:
Windows ist doof !
In seiner ersten Verzweiflung hatte der Weihnachtsmann sich zu diesem
Hilfeschrei hinreißen lassen -- wenigstens das hatte funktioniert ...
Wie hatte der freundliche Vertreter ihm glaubhaft versichert?
Anschließen, einschalten, loslegen - alles fertig konfiguriert.
Angefangen hatte alles bei der Weihnachtsmannweiterbildung im Frühjahr.
Da hatte man alle darauf eingeschworen, daß die Zukunft des
heiligen Festes im Cyberspace liege.
Die Kinder werden ihre Geschenke bildhaft vor Augen
sehen, noch bevor sie sie ausgepackt haben,
als ob das so eine tolle Lösung sei.
Weihnachtsgeschenke on Demand solle das Zauberwort heißen. Wie aller
moderner Nonsens kam diese Idee natürlich aus Übersee.
Ein gewisser Gill Bates oder so hatte einen zugegebenermaßen
mitreißenden Vortrag gehalten, in dem er die Möglichkeiten
des neuen Zeitalters mit blumigen Worten ausschmückte,
es gäbe auch schon die ersten virtuellen Kaufhäuser.
Und so kam es wie es kommen mußte, jeder fühlte sich nun genötigt,
dem aktuellen Trend zu folgen. Wer wollte schon den Ruf haben,
sich dem Fortschritt zu versperren. Eine CD--ROM mit ein paar Demos
hatten alle Teilnehmer gleich mitbekommen.
Zu Hause angekommen wurden Kataloge und Werbeprospekte gewälzt,
müßig, ausführlich darüber zu schreiben. Schlußendlich stand so ein
Gerät auf seinem Tisch.
Ein wenig skeptisch blickte der Weihnachtsmann immer noch drein.
'Das soll es nun sein?', dachte er bei sich, aber sofort fielen ihm die
zündenden Schlagworte aus dem Seminar wieder ein: Datenautobahn,
Technologie der Zukunft, kinderleicht zu bedienen ...
Also frohen Mutes ans Werk! Eingeschaltet und ... es passiert ... doch,
nach kurzer Zeit präsentierte sich ihm eine bunte Oberfläche, hübsch
anzusehen, aber noch etwas ungewohnt.
Irgendwie mußte nun der Netzzugang zu finden sein.
Nach einigem Suchen war die richtige Programmgruppe ausfindig
gemacht.
Aber was stand da nicht alles zur Auswahl! Das erschlug ihn nun doch
irgendwie: WinFTP, Winsock, Winirc, WinTel, WinMail ...
Letzteres klang noch irgendwie am vertrautesten.
'Post ist immer gut', dachte er bei sich, also führte er beherzt seinen
Doppelklick aus, um kurz darauf einen ersten Fluch auszustoßen,
denn was er da auf dem Bildschirm sah, damit hatte er in seiner
Abgeschiedenheit nun wirklich nicht gerechnet...
Seine mit Animation versehene Meldung stellte ihn vor schier unlösbare
Probleme:
Sie sind kein registrierter Benutzer!
Bitte melden Sie sich beim Superuser!
Halten Sie ein Passwort bereit!
Als erstes kam dem Weihnachtsmann der Gedanke,
die ganze Software neu zu installieren ...
Aber das wäre uferlos viel Arbeit gewesen, zumal die
Installationsdisketten noch in gepackter Form auf der Festplatte lagen
(und auf ein CD--ROM--Laufwerk hatte er aus Kostengründen verzichtet).
Die Programmierer müssen doch im Wissen um die Macken
des Programmes einen Noteinstieg haben.
Als er nach mehreren Stunden intensivem Studiums der beigelegten
Heftchen immer noch nicht wußte, wer der Superuser sein sollte
und warum zum Teufel er ein Passwort brauchte, entschloß er sich,
die Hotline des Händlers anzurufen.
Ein paar Umwege über verschiedene Auswahlmenüs der Zentrale
brauchte er noch, bis an der anderen Seite endlich jemand saß, der ihm
etwas genauer Auskunft geben konnte.
Das Ganze sei leider eine kleine Panne, wurde ihm erklärt, weil das
Programm auch in verschiedenen Weihnachtsmann GmbHs
eingesetzt werde, wo sich mehrere Nikolause ein Terminal teilen müssen.
Außerdem sei das Programm trotz der Eins vor dem
Punkt noch nicht wirklich aus dem Betastadium heraus,
so daß man mit der einen oder anderen Unzulänglichkeit leben müsse.
Mit einer bestimmten Tastenkombination könne man aber dieses Problem
umgehen, jedoch wisse er diese nicht hundertprozentig (möglicherweise
Strg+F1+Del+Tab+Alt - man könne ja ein wenig probieren). Dann käme man
direkt zur Passworteingabe und würde später nicht noch einmal abgefragt
werden.
Damit zufrieden landete der Weihnachtsmann nach mehreren Warmstarts
endlich an der gewünschten Stelle und konnte danach seinen
elektronischen Postkasten öffnen. Dieser war krachend voll mit
Wunschlisten. Schließlich hatte die Adventszeit schon begonnen.
"Oh je", stöhnte er da, "Wie soll ich diese Flut bewältigen?
Und ich weiß doch noch nicht einmal, wie ich den ganzen Kram bedienen
soll!"
Zum Glück kam er ziemlich schnell auf eine naheliegende Lösung: News!
Das mußte es sein! Also den Newsreader angeworfen und ... oh Schreck!
5683 Gruppen wurden ihm gemeldet.
Und dann stand da noch irgend etwas von subscribe?
Das war schnell geklärt: an und abmelden mußte er die einzelnen
Newsgruppen.
Also:
z-netz--Gruppen: weg!
rec--Gruppen: weg!
\ldots, so daß er zum Schluß auf
eine überschaubare Zahl kam.
Von den übriggebliebenen erregten gleich ein paar seine Aufmerksamkeit:
Comp.soft.christmas schien ja ganz verlockend, aber er hatte leider nur
noch unvollständige Kenntnisse dessen, was von seinem Schulenglisch
übriggeblieben war, zumal er sich noch vor ein paar Jahren nicht hatte
vorstellen können, dies ernsthaft einmal zu brauchen \ldots
In einer anderen Gruppe - de.talk.weihnachten - erhoffte er sich als
nächstes genauere Informationen. Schon nach wenigen Beiträgen muß
er jedoch feststellen, daß hier so gut wie nur geschwafelt wird.
Die wirklichen Informationen müssen woanders zu finden sein ..
de.weihnachten.org, de.comp.soft.weihnachtsmann, de.weihnachten.misc
und noch einige andere erwiesen sich dann als weitaus inhaltsreicher.
So verbrachte er nun mehrere Stunden mit intensivem Lesen und erfuhr
dabei, daß eine Mail (zum Beispiel mit Wunschzetteln) auch ein
offizielles Schreiben sein kann, auf das man unbedingt reagieren muß,
daß er mit einem Programm namens Netscape sich durch die ganze
Welt bewegen kann, ohne von seinem Stuhl aufzustehen
(und damit so nebenbei auch seine News lesen kann),
daß er von dort aus auch bei den verschiedensten
Kaufhäusern und Verlagen per Katalog bestellen kann, daß,
wenn es manchmal so komisch piepst, vielleicht jemand einen Talk
mit ihm abhalten wolle und er dann das entsprechende Programm
starten müsse, und und und.
Richtiggehend erleichtert stellte er fest, doch einmal eine sinnvolle
Anwendung gefunden zu haben. Seine Freude sollte jedoch nicht von langer
Dauer sein. Beim nächsten Programm, das er startete, geschah nun ...
überhaupt nichts mehr. Kein Blinken des Cursors, keine Bewegung des
Mauszeigers - nichts!
Als er schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte, erschien ihm wieder
das animierte Meldungsfeld von vorhin. Diesmal:
Unerwarteter Programmfehler.
Bitte starten Sie Ihren Rechner neu!
"Das kann doch nicht wahr sein!", entfuhr es ihm. "Was habe ich mir da
andrehen lassen!". Aber der Weihnachtsmann war geduldig (noch) und
versuchte es gleich noch einmal. Schließlich wollte er noch die
Wunderwelten des WWW ergründen.
Diesmal lief komischerweise alles glatt.
So ließ er sich hineinziehen in den Sog der Informationen und merkte
dabei gar nicht, wie die Zeit verging.
Das war vielleicht doch nicht die schlechteste Erfindung gewesen ...
Als er sich jedoch plötzlich besann, was sein eigentliches Anliegen
gewesen war, bekam er gleich ein schlechtes Gewissen.
Das konnte er doch den Kindern nicht antun.
'Ich sollte mir langsam Gedanken machen, wie ich an die nötigen
Informationen rankomme', dachte er bei sich. Mit dem ziellosen Suchen
kam er nicht weiter, es mußte etwas Systematischeres her.
Schnell bekam er durch eine WWW--FAQ heraus, daß es dazu besondere
Adressen gab, mit denen er gezielt nach etwas suchen konnte. Webcrawler
und wie diese Suchtools alle heißen. Das war es, was er brauchte.
So machte er sich also daran, die Wunschzettel abzuarbeiten.
Nachdem er jedoch die ersten Suchergebnisse in der Hand hatte und die
Verbindung aufbauen wollte, ging der Ärger auch schon wieder los.
Ganz offensichtlich hatten alle Weihnachtsmänner dieser Welt zur
gleichen Zeit den gleichen Gedanken.
Die Leitungen waren hoffnungslos überlastet. Ein Timeout jagte
den anderen, wobei man eigentlich von jagen nicht sprechen konnte.
Zudem waren die Wunschzettel diesmal irgendwie größer als früher.
Jedenfalls hatte er am Abend noch nicht einmal einen Bruchteil
der Wünsche unter Dach und Fach -- so konnte das nicht weitergehen.
Da klopfte es an der Tür, und als er öffnete, saß eine Taube im Fenster,
die eine kleine Papierrolle um den Hals trug.
Auf diesem Zettel standen fein säuberlich
zwei Wünsche eines kleinen Jungen:
Einen Holzroller und etwas Feiertagsfutter für seine Taube.
Plötzlich wußte der Weihnachtsmann, was zu tun war. Was sollte dieser
ganze technische Kram, wenn es dessen eigentlich gar nicht bedurfte?
Die Dinge sind manchmal so einfach, und wir erschweren sie uns künstlich.
"Sollen doch die damit glücklich werden,
die das Ganze auch wirklich brauchen",
sagte er mit Bestimmtheit, packte den Computer nebst Monitor
und Modem in die Kisten zurück,
verschnürte diese akribisch und schrieb eine Adresse darauf:
"Ich glaub, die Frau Fuchs braucht da endlich einen neuen Computer",
murmelte er dabei vor sich hin. Dann stellte er die Kisten in das kleine
Postbotenhäuschen, wo die Sendungen für die Erwachsenen abgeholt werden
und ging ins Haus zurück. Dort kramte er in seinen Schubladen
lange herum und fand endlich seine kleine Silberpfeife.
Wieder vor dem Haus, blies er hinein und augenblicklich versammelten
sich die Tiere des Waldes an der Futterstelle.
Alle waren schon ganz ungeduldig und aufgeregt.
"Ich hätte mich gleich auf Euch verlassen sollen",
meinte der Weihnachtsmann.
"Ihr wißt wenigstens, was zu tun ist."
Jedes der Tierchen bekam einen der Wunschzettel um den Hals gehängt und
im nächsten Augenblick waren auch schon wieder alle so schnell
verschwunden wie sie gekommen waren.
Jetzt konnte der Weihnachtsmann beruhigt eine Pause einlegen.
Er wußte, am nächsten Morgen würden die lieben Gesellen das Gewünschte
herbeigeschafft haben, er würde es einpacken und pünktlich zum
Heiligabend seine Hirsche vor den vollbeladenen Schlitten spannen
können.
So setzte er sich in den Schaukelstuhl vor seinem Ofen, zündete sich
gemütlich eine Pfeife an und dachte mit ein wenig Schadenfreude an seine
Kollegen in Übersee ...
--Frohe Weihnachten wünscht euch und euren Lieben
Wolfgang Sigart (IT Securitymanager) Oesterreichische Lotterien G.m.b.H. A-1038 Wien, Rennweg 44 Tel: +43 1 79070 5531 Fax: +43 1 79072 553 mailto:wolfgang.sigart@lottery.co.at PGP-KEY-ID: 0xD4BAD3BD Privat: mailto:wolfgang@sigart.at PGP-KEY-ID: 0xEAC02A11
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